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13.3.2019

Der real existierende Futurismus

Alter Schwede, hoch lebe die internationale Solidarität! Seit einigen Monaten steht eine 16-Jährige immer wieder freitags vor der größten schwedischen Knäckebrot-Fabrik herum, um den Hunger in der Welt abzuschaffen. Ihr richtiger Name ist unbekannt (in einem Jahr wird sich ohnehin niemand mehr an sie erinnern), weshalb sie allenthalben liebevoll „Freitag“ genannt wird, auch in Anlehnung an den im Nirgendwo gestrandeten Kumpel von Robinson Crusoe. Doch solch ein hoffnungsloses, vereinsamtes Dasein am Rande der Gesellschaft darf nicht tatenlos hingenommen werden. Deshalb demonstrieren Schüler in Deutschland und im Rest der Welt an jedem Freitag für Freitags künftiges Wohlergehen: „Future for Friday!“. Schweren Herzens und unter Zurückstellung größter Bedenken opfern sie dafür sogar ihre Unterrichtszeit - nicht wie Pippi Langstrumpf aus lauter Jux und Dollerei, sondern damit Freitag in die Gesellschaft integriert wird, statt als Straßenkind zu enden. Folgenden Forderungskatalog haben die jugendlichen Demonstranten aufgestellt:

1 Margot Käßmann und Papst Franziskus verleihen Freitag in einem feierlichen Hochamt den Titel „Jesus seine kleine Schwester“.
2 Freitag erhält einen Sitz samt Vetorecht im Weltsicherheitsrat.
3 Die Wochentage werden umbenannt: Künftig heißen sie alle Freitag. Zur leichteren Unterscheidung werden sie durchnummeriert: Freitag-1 bis Freitag-7.
4 An ihrem 18. Geburtstag wird Freitag durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit der Weltherrschaft betraut.
5 Gleichzeitig löst die Vollversammlung sich auf und überlässt seine Befugnisse dem Worldwide Friday-Fanclub.
6 Es wird das verpflichtende Freitagsgebet eingeführt: Alle Menschen, auch die Nichtreligiösen, müssen jeden Freitag (also täglich) um 5 vor 12 auf die Knie fallen und sich gen Norden verneigen und dabei „Fredag är den störste!“ skandieren.
7 Nationalhymnen werden abgeschafft. Vor Fußballländerspielen singt stattdessen die eine Mannschaft „Friday on my Mind“, die andere „Thank God, it's Friday“.
8 Der amerikanische Fernsehsender A & E Networks und Time Magazine küren Freitag zum Menschen des Jahrtausends. Sodann wird das Jahrtausend für beendet erklärt und eine neue Zeitrechnung begonnen: Jahr 1 n. F.
9 Es wird ein verpflichtender Veggie-Fastentag eingeführt: Am Freitag-5 darf ausschließlich trockenes, veganes Knäckebrot gegessen werden. An allen anderen Tagen gibt es wahlweise auch trockenes Mjölk-Knäckebröd (in Leitungswasser gestippt).
10 ff.  Ist noch nicht ausdiskutiert, aber da fällt uns schon noch was ein.

Katja Kipping (quasi die kleine Schwester von Sahra Wagenknecht), Bundesdingsbumsirgendwasvorsitzende der PDS, spricht sich dafür aus, die Schüler wegen des Fernbleibens vom Unterricht nicht zu belangen, denn das sei kein Schuleschwänzen, sondern „gelebte Demokratie“. Ja, Demokratie ist naturgemäß das Spezialgebiet der Partei des Demokratischen Sozialismus aus der Deutschen Demokratischen Republik, und ein bisschen ranschleimen an künftige Wähler kann nicht schaden. Selbstverständlich befürwortet die PDS alles, wovon sie hofft, dass es sich irgendwie ansatzweise destabilisierend auswirken könnte. Tatsächlich phantasieren die desillusionierten linksradikalen Spießer die Schüler als Vorhut der Weltrevolution: Auf die Barrikaden - allons, enfants! Nur Reaktionäre, den Untergang des maroden kapitalistischen Systems vor Augen, können da erhobenen Zeigefingers verlangen, die Revolutionäre dürften den städtischen Rasen nicht betreten und nicht die Schule schwänzen. Diese tolerante Sichtweise ist umso bemerkenswerter, als es der multipel umbenannten SED 30 Jahre nach 1989 nicht zu verdenken wäre, wenn sie etwas dünnhäutig auf Demonstrationen reagieren würde. Aber immerhin finden die jetzigen ja nicht montags statt, und der Ruf „Wir sind das Jungvolk!“ ist bislang noch nicht erschollen. Dabei wünscht sich die PDS doch nichts sehnlicher als den Klimawandel - politisch: Endlich von SPD und Grünen in die Bundesregierung gehievt werden. Doch was einer rot-blutrot-grünen Koalition dann blühen würde, ist jetzt schon sicher: No Future!

Auch Angela Merkel, Jean-Claude Juncker, Stefan Weil, Frank-Walter Steinmeier und viele andere können sich gar nicht einkriegen vor Begeisterung und drängeln sich, um eine Audienz bei Freitag und ihren juvenilen Förderern zu ergattern. Die Missachtung der Schulpflicht ist kein Thema mehr: „Lokführer streiken ja auch nicht in ihrer Freizeit“, verlautbarte ein 17-Jähriger. Ist zwar abgrundtief dummes Geschwätz auf unterstem Stammtischniveau, aber egal, damit ist das Thema erledigt. Noch viel besser ist die Kernaussage auf www.fridaysforfuture.org: „School children are required to attend school. But with the worsening Climate Destruction this goal of going to school begins to be pointless. Why study for a future, which may not be there?“ - an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten. Aber auch hier gilt die alte Weisheit: Zum Verarschen gehören immer Zwei.

Das fundamentale Problem besteht darin, dass das Thema der Demonstrationen keinen definierten Abschluss haben kann, keine klare Entscheidung, kein eindeutiges Ergebnis in überschaubarem Zeitrahmen, typischerweise in Form eines Gesetzes, worin das Anliegen der Demonstranten unmittelbar greifbar verwirklicht wird - oder nicht (und dann kann man in ein, zwei Jahren einen neuen Anlauf machen), so wie Schüler sich z. B. dafür einsetzen, dass auch die Oberstufe kostenlos mit dem Bus zur Schule fahren darf. Das vorliegende Thema aber kann naturgemäß in überschaubarer Zeit zu keinem definierten Abschluss gelangen. So wird diese von Medien, Politikern und PDS-Funktionären aufgeblasene Modeerscheinung, die Züge von Realitätsferne und Selbstüberschätzung aufweist, unweigerlich im Sande und in Frustration versickern, was sich obendrein hinsichtlich gesellschaftlichen und politischen Engagements Jugendlicher als kontraproduktiv auswirken wird. Die beständige Wiederholung und - schier unglaublich - globale Ausweitung führen nicht dazu, dass dieses - nicht sonderlich neue, eigentlich allseits bekannte, unstrittige - Thema plötzlich erstmals ins öffentliche Bewusstsein rückt und für wichtig erachtet wird. Vielmehr werden die Demonstrationen nur noch auf einer Metaebene wahrgenommen, als bloßes Phänomen, und die jungen Teilnehmer - es tut mir maßlos leid, es sagen zu müssen - lediglich als Gähnen hervorrufende Nervensägen.

Das Organisationskommitee hat der Kultusministerkonferenz als Geste des guten Willens und vertrauenbildende Maßnahme ein Moratorium angeboten: Vom 4. bis 30. April wird es freitags keine Demonstrationen während der Unterrichtszeit geben. Da sind in Deutschland Osterferien.

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