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10.5.2017

Ich bin ein Star - holt mich hier rein!

Hammel, spring! Bei nur oberflächlicher Betrachtung könnte man der Ansicht sein, dass dieses an den Haaren herbeigezogene Schaulaufen an Lächerlichkeit und Verlogenheit nicht zu überbieten ist. Doch nach eingehender Analyse erscheint der Ansatz, der Bundesversammlung durch Promis den Anstrich von Volksnähe und Basisdemokratie (und etwas Glanz und Glamour) zu verleihen, als innovativ, richtungweisend und ausbaufähig. Dass dies längst überfällig ist, hat sogar einer der Kandidaten der Bundespräsidenten-Wahl vorgeführt: Knallcharge Alexander Hold hat seine Fernsehrolle in einem Maße verinnerlicht, dass nicht nur das Publikum, sondern sogar er selbst inzwischen glaubt, auch in der Realität Richter zu sein. Solch Überidentifikation ist unter Schauspielern nicht selten, man denke nur an unseren roten Bruder Pierre Brice und den Dracula-Wiedergänger Bela Lugosi. Einen ersten Vorstoß in Richtung Massenunterhaltung machte bereits 2009 die Speerspitze des Fortschritts, die PDS, als sie den pensionierten Tatort-Kommissar Peter Sodann zum Bundespräsidenten befördern wollte¹. Im Mutterland des Showbusiness ist dies seit Langem gang und gäbe: Ronald Reagan, Arnold Schwarzenegger und nun Donald Trump, der an den Loriot'schen Horrorfilm-Star Vic Dorn erinnert, dessen scheußliche Maske ebenfalls keine ist.

Warum lassen die Promis sich so bereitwillig von den Machtparteien und Berufspolitikern als Stimmvieh instrumentalisieren, um fraktionsdiszipliniert gehorsam auszuführen, was die Parteioberen ausgemauschelt haben? In einer Veranstaltung, die ähnlich mitreißend ist wie eine Kaffeefahrt nach Wanne-Eickel samt Wahl der Miss Rheumadecke. Ganz einfach: Sie sind eitel und öffentlichkeitsfixiert und gieren nach jedem medienwirksamen Auftritt. Wie ihre Paten. Diese schieben die Promis als lebende Schutzschilde vor, um sich im Wege des Präventivschlags gegen ein Thema zu wappnen, das hierzulande bei der politischen Elite in etwa solche Begeisterung auslöst wie in Afghanistan das Ansinnen, die Burka abzuschaffen: die Direktwahl des Bundespräsidenten. Angela Merkel lehnte schon im Jahr 2009 so‘n neumodischen Kram kategorisch ab, weil dies „die gesamte Statik des deutschen Staatsaufbaus massiv verändern“ würde - klingt nach Chaos, Anarchie und Untergang des Abendlandes, will aber nur sagen: die Allmacht der Parteien beschneiden würde. Anlass für diese Äußerung war, dass ein als umstürzlerischer junger Wilder Verschriener angeregt hatte, den Bundespräsidenten direkt zu wählen: Bundespräsident Horst Köhler. Mit Blick auf die jüngste Wahl des österreichischen Bundespräsidenten und des französischen Staatspräsidenten wird dem Volk ein weiteres Argument vor den Latz geknallt, weshalb es sich gefälligst rauszuhalten habe: Eine Direktwahl sei unverantwortlich, weil dadurch nationalistische und sozialistische Radikalreaktionäre zum Zuge kommen könnten. Dieses vor staatstragendem Verantwortungsbewusstsein triefende Argument ist natürlich schiere Heuchelei - damit könnten auch Parlamentswahlen und die Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten unterbunden werden.

Das ist aber noch längst nichts alles. Wer so richtig auf die Exkremente hauen und en passant historischen Weit- und Durchblick vortäuschen möchte, weist mit dräuendem Raunen darauf hin, dass in Deutschland das Staatsoberhaupt einst direkt gewählt wurde: der Reichspräsident der Weimarer Republik. Der greise, antirepublikanisch gesinnte Generalissimus Paul von Hindenburg regierte mittels Notverordnungen über die Regierung hinweg, und nach eigenem Gutdünken setzte er Kanzler ein und ab, bis endlich der letzte in der Reihe bei der Stange blieb (dramatische Pause, die Musik schwillt an): Adolf Hitler! Wer jetzt noch die Direktwahl des unmittelbar gleichzusetzenden Bundespräsidenten der unmittelbar gleichzusetzenden Bundesrepublik befürwortet, kann nur ein verkappter Nazi sein! Aus Sicht der Direktwahl-Gegner befindet sich Deutschland im Jahr 2017 also entwicklungsresistent auf dem politisch-zivilisatorischen Niveau von vor 90 Jahren. Da möchte auch ich eine flotte Lehre aus Weimar zum Besten zu geben: In der Monachie hätte es keine NSDAP und keinen Hitler gegeben. Was folgern wir Nachgeborenen daraus: Wir wollen unsern ollen Kaiser Willem wiederham!

Fazit: Das Volk ist und bleibt eine Zusammenrottung potenzieller Demokratie-Gefährder. Und es will Brot und Spiele, daran hat sich nichts geändert: Ob im antiken Rom Gladiatoren und Christen von ausgehungerten Raubtieren zerfleischt wurden oder ob sich heutzutage irreversible Sozialfälle im Dschungelcamp malträtieren lassen, emotional verkrüppelte Lebensunfähige auf den ersten Blick in Zwangsehen gepresst werden und geltungssüchtige Eltern ihre kindheitsberaubten Bälger in einer milden Form öffentlichen Missbrauchs als Voice-Kids und Little Big Stars zum Fraße vorwerfen, kommt doch aufs Gleiche raus. Deshalb schlage ich vor, auch auf die Direktwahl des Bundestages zu verzichten und stattdessen Folgendes einzuführen: Das Parlament besteht künftig aus den erfolgreichsten Publikumslieblingen in Fernsehserien, Shows, Musik, Sport usw. Die Zusammensetzung wird monatlich aufgrund laufender Erhebungen der GfK aktualisiert. Auf diese Weise wird der Volkswille viel unmittelbarer verwirklicht als durch eine nur alle 4 Jahre stattfindende Momentaufnahme. Die Promis sind die Transmissionsriemen der Parteien, der Bundestag als Comedianstadel. Das wäre die Geburtsstunde einer neuen, zeitgemäßen Staatsform: Demokratainment.

¹ Mein Haus Vaterland
  Luc und Trug

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