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Oh. Nein!

31.03.2014

An den scheidenden Intendanten des Deutschen Theaters in Göttingen Mark Zurmühle

Sehr geehrter Herr Zurmühle,

meine Hoffnung, dass Sie in der Schlussphase noch das Ruder herumreißen, damit diese permanente Erregung öffentlichen Ärgernisses nicht auf ewig mit Ihrem Namen verbunden bleibt, geht wohl nicht in Erfüllung. Im Gegenteil: Es wird schlimmer von Mal zu Mal. Ich meine die Plakate des Deutschen Theaters, die seit Jahren nur aus einfarbigem Hintergrund (dezent gemustert wie meine Oma ihre Auslegeware) und BILDhaften Verbalkonvulsionen bestehen. Wie das DT annehmen kann, mit diesem verkrampften, kleinstkarierten Minimalismus Menschen für einen Theaterbesuch zu interessieren, ist mir ein Rätsel. Die Plakate sind so originell, abwechslungsreich und ansprechend wie Rückenschilder verstaubter Aktenordner und zeugen von der nie versiegenden, himmelsstürmenden Kreativität des Loriot'schen Verwaltungsinspektors, der für einen Astronauten gehalten wird, es aber statt bis zu den Sternen nur ins dritte Obergeschoss geschafft hat. Bisheriger Höhe- bzw. Tiefpunkt ist das Plakat zu Kafkas „Verwandlung“: Es besteht lediglich aus einer einsilbigen Interjektion. Aber warum so zaghaft? Auch dies ließe sich noch optimieren, indem das ohnehin nichtssagende „Oh“ entfällt und nur der klägliche Punkt übrig bleibt. Das DT könnte dadurch Victor Hugo nacheifern, der mit seinem Verleger per Fragezeichen und Ausrufezeichen zu korrespondieren pflegte.

In Zeiten leerer öffentlicher Kassen (erst das Weender Freibad, dann das Deutsche Theater?) ist es sicherlich dringend erforderlich und überaus löblich, langatmige, zeitraubende Theatertexte auf das Unwesentliche zu reduzieren. Ihr Mitarbeiter für Presse und Reklame (PR) scheut offensichtlich weder Zeit noch Mühen, um es besser zu machen als weiland Goethe, der einmal schrieb: „Entschuldige die Länge des Briefes, ich hatte keine Zeit, mich kurz zu fassen.“ So könnte der ganze inkommensurable Faust in einem Wort komprimiert werden: „Ach!“

Oder handelt es sich um das finale postmoderne Gesamtkunstwerk schlechthin? Die Plakate enthalten Texte um Nichts, demnächst werden sie gänzlich textfrei sein, dann überhaupt keine Plakate, nichts mehr zu sagen, nicht einmal Piep, nur Leere und Losigkeit, langsam dunkel und Zerfall, das Ende. Beckett würde im Grabe Luftsprünge machen. Dann sollte der einmal eingeschlagene Weg konsequent fortgesetzt werden. Das gebietet auch die Redlichkeit: Es kann nicht angehen, dem Publikum mit lakonischen Plakaten eine schnelle Nummer vorzugaukeln und es dann 2 Stunden lang zu internieren. Daher sollte man auch die Aufführungen auf wenige plakative Wörter tunen. Besser noch: Gar keine Aufführungen mehr, und auch das Publikum ist eigentlich völlig überflüssig: Die meisten verstehen eh nichts davon, und danach sieht der Saal immer aus wie Sau. Stattdessen sollte der Personalbestand des DT auf den Intendanten und den PR-Mitarbeiter gesundgeschrumpft werden. Einmal pro Woche (muss reichen!) treffen die beiden sich im Chef-Büro auf ein Käffchen, PR spielt die Schauspieler und hält sein neuestes Blubb-Blubb in die Höhe, Intendant spielt das Publikum und hält ebenfalls ein Plakat hoch: „Klatsch!“ Vorhang.


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(01.04.2014)

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