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14.2.2016

Städtischer Aut(omat)ismus

Nun hatte ich Blut geleckt, und ich wollte mehr Beute erlegen! Ist der Blick erst einmal geschärft, entdeckt man allerorten Zigarettenautomaten, zuweilen im Vorgarten hinterm Jägerzaun neben den Gartenzwergen biederer Kleinbürger, die sich ein kleines Zubrot als Dealerkomplizen ergaunern. Vielfach aber auch auf öffentlichem, der Stadt gehörendem Gelände, bevorzugt an Haltestellen, wahrscheinlich damit die Nikotinsüchtigen keine Entzugserscheinungen bekommen, wenn der Stadtbus Verspätung hat. Daher begab ich mich auf eine spätsommerliche Fototour zwecks Beweissicherung und sandte der Stadt Göttingen am 24.9.2015 folgende Email:

Büro des Oberbürgermeisters
Hiroshimaplatz 1 - 4
37083 Göttingen

Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Stadt, die Wissen schafft, sollten ausschließlich die Köpfe rauchen, und zwar nicht von Tabak, sondern durch Spitzenleistungen in Forschung und Studium. Dennoch wird das Straßenbild auf Schritt und Tritt durch Zigarettenautomaten verunstaltet. Wenn Privatpersonen und Betriebe ihre Grundstücke als Aufstellplätze auf den Strich schicken, müssen sie dies mit ihrem hoffentlich schlechten Gewissen vereinbaren. Vollends skandalös ist es jedoch, wenn die Stadt Göttingen sich daran beteiligt. Die Standorte der folgenden Zigarettenautomaten befinden sich höchstwahrscheinlich im Eigentum der Stadt:

Petrikirchstraße (Ecke Ulmenweg) Hermann-Rein-Straße (gegenüber Hotel Am Papenberg) Stumpfe Eiche (Bushaltestelle Im Hassel) Stumpfe Eiche (Bushaltestelle Stumpfe Eiche)
Hannoversche Straße (Bushaltestelle Freibad Weende) Max-Born-Ring (Bushaltestelle Edward-Schröder-Bogen) Humboldtallee (Kiosk) Waldweg (am Gelände Waldweg 33)
Ecke Berliner Straße - Godehardstraße (vor den Gerichten) Waageplatz (am Wall) Berliner Straße (Zoologie) Groner-Tor-Straße (Bushaltestelle Groner Tor)

Dies ist wohlgemerkt lediglich ein Weende- und Innenstadt-orientierter Ausschnitt. Es kann als sicher gelten, dass der gesamte Göttinger Maschinenpark um ein Vielfaches größer ist.

Sind die Zigarettenautomaten etwa gar kein Widerspruch zum Wissenschaftsstandort Göttingen, sondern ein Teil davon? Vielleicht handelt es sich um eine experimentelle Versuchsanordnung im Rahmen nobelpreisverdächtiger Forschungsprojekte, z. B. „Sozialität und Gesundheit bei Primaten“ - wozu per Definition auch die Gattung Mensch gehört.

Wie dem auch sei: Es ist von vornherein völlig inakzeptabel, dass eine öffentliche Einrichtung wie die Stadt, die in besonderem Maße dem Gemeinwohl verpflichtet ist, der Sucht von Menschen Vorschub leistet und sich daran bereichert. Das ist schmutziges Geld (man könnte auch sagen: Schwarzgeld - so schwarz wie eine Raucherlunge).

Ich bitte Sie deshalb herzlich und eindringlich, sämtliche Zigarettenautomaten, die sich auf städtischen Grundstücken befinden, unverzüglich ersatzlos entfernen zu lassen. Sollten Sie gegenüber den Nikotin-Dealern vertraglich gebunden sein, dann kündigen Sie die Verträge fristlos und zahlen Schadenersatz - Strafe muss sein. Dass die Räumung der Giftgas-Arsenale ohne Weiteres durchführbar ist, hat das Studentenwerk in vorbildlicher Weise gezeigt, indem es im vorigen Jahr auf meine Anregung 2 Zigarettenautomaten demontierte.

Kopien dieser Email erhalten die regionalen Medien, der Rat der Stadt und die im Rat vertretenen Parteien (sofern sie a. demokratisch und b. nicht so verkniffen sind, auf ihrer Webseite keine Emailadresse zu nennen). Insbesondere die Grünen als Vorreiter innovativer Suchtprävention müssten mein Anliegen vehement unterstützen: Schließlich ist in dem von der Grünen-Bundestagsfraktion eingebrachten Entwurf des CannKG geregelt, dass Cannabis nicht in Automaten feilgeboten werden darf.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietrich Klabunde

Am 8.10.2015 antwortete mir die Stadtverwaltung mit folgender Email:

Sehr geehrter Herr Klabunde,

die in den Bilddateien dargestellten Automaten verfügen über eine entsprechende Erlaubnis. Hier bestehen langfristige Nutzungsverträge, die auch nicht ohne Weiteres gekündigt werden können. Hierzu besteht aus Sicht der Verwaltung auch keine Veranlassung, da der Verkauf an Minderjährige technisch ausgeschlossen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Stadt Göttingen
Referat des Oberbürgermeisters
Beschwerdemanagement
Hiroshimaplatz 1-4
37083 Göttingen
Tel.: 0551/400-4000
Fax: 0551/400-3133
beschwerden@goettingen.de
www.goettingen.de

2 Wochen hatte die Stadtverwaltung benötigt, um die schwere Entscheidung zu treffen, ob sie sich mir gegenüber als verantwortungslos und faul darstellen soll, indem sie aufrichtig sagt, dass sie keinen Bock hat, oder als strohdoof, indem sie zusammenhangloses Zeug daherplappert und so tut, als wäre sie unfähig, meine Email vom 24.9.2015 zu lesen und zu verstehen. Sie entschied sich für Letzteres, wofür ich ihr überaus dankbar bin, da der Satirewert dieser Variante ungleich höher und eine perfekte Vorlage war, um die Geschichte weiterzuführen. Am 12.10.2015 versandte ich folgende Email:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für Ihre Email vom 8.10.2015. Zu Ihren wohl als Rechtfertigung für die Handlungsweise der Stadt Göttingen und als Widerlegung meiner Email vom 24.9.2015 zu verstehenden Ausführungen ist Folgendes zu sagen:

Die Aussage, die Zigarettenautomaten verfügten über eine Erlaubnis, ist irrelevant (ich nehme an, dass Sie mit „Erlaubnis“ eine solche durch die Stadt Göttingen als Eigentümerin der Standorte meinen): In meiner Email vom 24.9.2015 behauptete ich nicht, dass es keine „Erlaubnis“ gebe. Ganz im Gegenteil wies ich darauf hin, dass die Stadt Göttingen in ihrem Eigentum stehende Flächen für Zigarettenautomaten zur Verfügung stellt - das ist ja gerade das Problem. Im Übrigen verfügen sicherlich nicht die Zigarettenautomaten, sondern deren Betreiber über eine „Erlaubnis“.

Die Aussage, es bestünden langfristige Nutzungsverträge, ist irrelevant: In meiner Email vom 24.9.2015 bezweifelte ich dies nicht, sondern ganz im Gegenteil bat ich darum, die Verträge fristlos zu kündigen.

Die Aussage, die Verträge könnten „nicht ohne Weiteres“ gekündigt werden, wirkt etwas hingenuschelt und erweckt daher den Eindruck, dass Sie die Angelegenheit nicht mit der gebotenen Sorgfalt bearbeitet haben. Davon abgesehen, ist Ihre Aussage irrelevant: Jeder Vertrag lässt sich ohne Weiteres kündigen, indem man ihn fristgerecht kündigt. Man kann einen Vertrag aber auch vorzeitig kündigen und muss dann bestimmte Folgen in Kauf nehmen. Wenn man z. B. einen Mietvertrag vorzeitig kündigt, muss man eben einige Monatsmieten draufzahlen. Wenn die Stadt Göttingen die mit den Betreibern der Zigarettenautomaten bestehenden Verträge vorzeitig kündigt, muss sie eventuell Schadenersatz zahlen. Na und? Die Mittel hierfür sind vorhanden: Die Stadt Göttingen hat jahre- und jahrzehntelang an den Zigarettenautomaten verdient, und diese Einnahmen, bei denen es sich - dies bedarf keiner ernsthaften Diskussion - um schmutziges Geld handelt, sind mit Sicherheit höher als der Schadenersatz. Bitte nehmen Sie sich das Studentenwerk zum Vorbild, das sehr wohl willens und in der Lage war, die beiden Zigarettenautomaten zu entfernen - ob mit oder ohne Weiteres ist völlig belanglos.

Die Aussage, aus Sicht der Verwaltung bestehe keine Veranlassung, die Verträge zu kündigen, da der Zigarettenverkauf an Minderjährige technisch ausgeschlossen sei, ist irrelevant: In meiner Email vom 24.9.2015 behauptete ich nicht, dass die Zigarettenautomaten Minderjährigen zugänglich seien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie meine Email so grundsätzlich missverstanden haben. Vielmehr ist anzunehmen, dass Sie mit dem Hinweis auf Minderjährige lediglich vom Thema ablenken wollen, weil Sie wissen, dass die Stadt Göttingen im Unrecht ist.

Mein Vorwurf in der Email vom 24.9.2015 lautete, dass die Stadt Göttingen der Sucht von Menschen Vorschub leistet und sich daran bereichert. Als Begründung dafür, dass die Stadt Göttingen keine Veranlassung sieht, die Zigarettenautomaten zu entfernen, ist daher der Hinweis auf die überhaupt nicht in Rede stehenden Minderjährigen völlig untauglich. Vielmehr kann die Begründung für die Haltung der Stadt Göttingen nur eine von zwei Varianten sein:

Entweder geht meine Behauptung gänzlich fehl, da aus Sicht der Stadt Göttingen diese nicht der Sucht von Menschen Vorschub leistet und sich nicht daran bereichert.

Oder meine Behauptung ist zutreffend, aber aus Sicht der Stadt Göttingen ist es nicht verwerflich, dass diese der Sucht von Menschen Vorschub leistet und sich daran bereichert.

Ich bitte Sie daher um eine klare, unmissverständliche Aussage, welche der beiden Begründungen sich die Stadt Göttingen zu eigen macht. Dies ist für die Öffentlichkeit von großem Interesse.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietrich Klabunde

Was sollte die Stadtverwaltung nun tun? Da blieb ihr nur eines: aussitzen. 3 Monate lang hüllte sie sich in Schweigen, bis ich ihr am 12.1.2016 ein Schreiben sandte - total uncool in Papierform:

Büro des Oberbürgermeisters
Beschwerdemanagement
Hiroshimaplatz 1 - 4
37083 Göttingen

Zigarettenautomaten

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf meine Email vom 12.10.2015 haben Sie bislang nicht geantwortet. Ich bitte Sie daher neuerlich um ein sachgerechte, inhaltlich auf meine Emails vom 24.9. und 12.10.2015 bezogene Aussage, die auch vor der Öffentlichkeit Bestand hat. Bitte gestatten Sie mir den Hinweis auf § 75 VwGO.

Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietrich Klabunde

Der „Hinweis auf § 75 VwGO“ meint Folgendes: Wenn eine Behörde mindestens 3 Monate lang auf einen Antrag bzw. einen Widerspruch nicht geantwortet hat, kann man sie beim Verwaltungsgericht mit dem Ziel verklagen, dass sie endlich einen Bescheid bzw. Widerspruchsbescheid erlassen muss. Dies wird als Untätigkeitsklage bezeichnet und ist in § 75 Verwaltungsgerichtsordnung geregelt. Natürlich hätte ich diese Untätigkeitsklage nicht wirklich erhoben, weil ich es mir nicht leisten könnte, auf den Gerichtskosten sitzen zu bleiben, falls ich beim Verwaltungsgericht unterlegen wäre, zumal unsicher ist, ob mein Anliegen überhaupt als „Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes“ zu werten ist.

Nichtsdestoweniger schien ich die Stadtverwaltung mit meinem vollmundigen Bluff beeindruckt zu haben, denn zu meiner Verblüffung erhielt ich bereits am 13.1.2016 per Email eine Antwort:

Sehr geehrter Herr Klabunde,

mit Ihrem Schreiben vom 12.01.2016 bitten Sie um Beantwortung Ihrer Mail vom 12.10.2015. Wie ich Ihnen bereits mit Mail vom 08.10.2015 mitgeteilt habe, besteht aus Sicht der Verwaltung kein Anlass, die Nutzungsverträge zu kündigen.

Mit freundlichen Grüßen

Stadt Göttingen
Referat des Oberbürgermeisters
Beschwerdemanagement
Hiroshimaplatz 1-4
37083 Göttingen
Tel.: 0551/400-4000
Fax: 0551/400-3133
beschwerden@goettingen.de
www.goettingen.de

Na ja, etwas wortreicheres, nichtssagendes Gewölk hätte ich mir schon gewünscht für meine vielen Steuern; wofür werden die Leute denn bezahlt? Dagegen war die Email vom 8.10.2015 geradezu ein episches Großkunstwerk. Aber ich will nicht immer nur meckern: Immerhin hat die Stadtverwaltung mit diesem Kleinod des administrativen Minimalismus einen zwar lapidaren, aber doch sehr aufschlussreichen Schlusspunkt unter diese Realsatire gesetzt. Es ist überaus bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit und Dreistigkeit sie versucht, sich ihrer öffentlichen Verantwortung und jeglichem Kontakt mit ihren Bürgern zu entziehen. Diagnose: „Extreme Selbstbezogenheit mit unwirklichem Denken bei weltabgewandtem Verhalten“ (Brockhaus in 15 Bänden, 1997), „Rückzug auf die eigene Vorstellungs- und Gedankenwelt, mit Isolation von der Umwelt, charakterisiert durch extreme Selbstbezogenheit und Insichgekehrtheit“ (Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Auflage, bei Munzinger Online). Das Verhalten der Stadtverwaltung ist exemplarisch dafür, was hinter all dem flotten, neumodischen Wir-sind-Dienstleister-die-Bürger-sind-Kunden-Service-Management-Gefasel steht: nichts. Zusätzlich läppisch und peinlich ist es, dass die Stadt Göttingen sich damit brüstet, Mitglied des Gesunde-Städte-Netzwerks (1, 2, 3) und der Gesundheitsregion Göttingen (1, 2) zu sein. Selbstverständlich unterstützt sie auch den alljährlichen Weltnichtrauchertag und die Universitäts-Präventionstage. All das kostet nichts, macht weder Arbeit noch Ärger und ist so kuschelig unverbindlich und wirkungslos. Aber mal etwas Konkretes tun - nein danke!

Oder stimmt mit mir etwas nicht? Warum bin ich eigentlich so manisch fixiert auf die Demontage von Zigarettenautomaten? Bin ich davon abhängig geworden, muss ich therapiert werden? Gibt es in Göttingen für mich eine passende Suchtberatungsstelle? Ich kann ja mal die Stadtverwaltung fragen.

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(28.10.2017)