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24.3.2019

Entschul(dig)ung!

„Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir“, beklagte schon der römische Philosoph Lucius Seneca. Jetzt, nach 2000 Jahren, wird endlich die unumgängliche Konsequenz gezogen: Schule? Nein, danke! „Fridays for Future“ haben die Schüler sich stattdessen auf die Fahne geschrieben - denn nur ohne Schule gibt es eine Zukunft für die Menschheit. Diese als Stockholm-Syndrom bezeichnete Denkschule hat binnen kürzester Zeit Follower auf dem gesamten Planeten gefunden. Wie aber sind sie bloß auf diese Idee gekommen? Ganz klar: Vom Ivan haben sie es gelernt. In dem 1971 erschienenen Buch „Entschulung der Gesellschaft“ stellte der österreichisch-amerikanische Kulturkritiker Ivan Illich die These auf, die Schule sei das wirksamste Instrument zur Vorbereitung der Kinder auf ein entfremdetes Leben unter Leistungs- und Konsumdruck, und forderte die Abschaffung der Schule: „Die Entschulung der Gesellschaft wäre nichts Geringeres als ein Kulturwandel, durch den ein Volk sich den effektiven Gebrauch seiner Verfassungsfreiheit wieder aneignet - Verschulung verblödet.“ Nun greifen die Schul-Terminatoren zur Guerillataktik: Neben dem Schulfreitag sind auch die sich häufenden Unterrichtsausfälle ohne Vertretungslehrer ein hoffnungsvoller Einstieg in den Schuleausstieg, der hoffentlich weltweit Schule machen wird.

Ein erster Befreiungsschlag war vor einigen Jahren auf heftigsten Widerstand reaktionärer Kreise gestoßen und schließlich von diesen torpediert worden: das Abitur nach 12 Jahren. Beabsichtigt war, die Schulpflicht Schritt für Schritt, Jahr um Jahr abzubauen und schließlich auf die Grundschule zu reduzieren. Dann kann man lesen, schreiben, rechnen - wozu mehr? Um Epochales zu vollbringen, ist das Gymnasium völlig überflüssig, siehe z. B. Adolf Hitler, Joschka Fischer, Martin Schulz. Aber heutzutage sollen ja alle Abitur machen, und jede betriebliche Berufsausbildung wird zum Studium hochgetuned. Damit auch sämtliche Luschen mit Abi 3,9 mehr schlecht als recht zu Akademikern mutieren können, gibt es keinen Magister mehr, kein Diplom, kein Staatsexamen, sondern lediglich Bachelor. Den schaffen nicht nur Fußball-, sondern sogar Basketballspieler.

Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, vergibt Bestnoten an die streikenden Schüler, deren Tun sie als Weckruf bezeichnet, für den sie dankbar sei. Es bedurfte also erst der freitäglichen Erweckungsbewegung, damit die Ministerin und ihre 1000 Mitarbeiter endlich auf den Trichter kommen, dass es eine Umwelt gibt, die geschützt werden muss. Andauernd wird darauf herumgeritten, dass die Schüler mal ein paar Stunden geschwänzt haben, aber im Umweltministerium hat es bislang wohl nur gechillte Freistunden gegeben. Dabei muss das BMU ein vitales Interesse daran haben und alle Bestrebungen unterstützen, um der Schule endlich den Garaus zu machen, denn die Umweltverschmutzung steigt exponentiell mit dem allgemeinen Bildungsniveau. Das idealtypische Gegenmodell waren die Indianer: Die hatten nicht mal eine Schrift und lebten im Einklang mit der Natur - die hohe Schule der Umweltverträglichkeit und Klimaneutralität (die paar Rauchzeichen-Tweets zählen nicht).

Jetzt gibt die aufgeweckte Ministerin so richtig Vollgas, sie plaudert aus der Schule („Als ich Schülerin war, habe ich gegen Atomkraft demonstriert.“) und erteilt Nachhilfe: „Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe für uns alle“, mahnt sie uns alle. Doch die Jugend bedarf solcherart Oberlehrer-Plattitüden natürlich nicht („Wat is en Klimaschutz?“), sondern ist ihrer Zeit wie immer weit voraus: Während die ältere Generation noch um die Greta-Frage herumdruckst, hat die jüngere - wissend, dass man stets zuerst bei sich selbst beginnen sollte, bevor man etwas von anderen verlangt - in einer feierlichen Erklärung geschworen, nach Kräften das ihrige zur Rettung des Klimas beizutragen: weniger Strom vergeuden, die Heizung nicht volle Pulle aufdrehen, nicht so viel warmes Wasser verplempern, möglichst wenig mit dem Auto fahren (lassen), lieber mit dem Flixtrain an die Ostsee als mit dem Flieger nach Mallorca - „so wahr mir Greta helfe!“

Der Weck-mitderschule-Ruf braust zwar wie ein Donnerhall, aber für die Reaktivierung der aus dem Büroschlaf erwachten Umweltschulzen ist das Old-School-Relikt Schule dennoch von hohem Nutzen: Wären die Demonstrationen außerhalb der Unterrichtszeit angesetzt worden, hätte kaum jemand daran teilgenommen, sodass der Weckdienst ausgefallen wäre. Für die Freizeit gibt's halt immer noch Plan B.

Siehe auch:
Der real existierende Futurismus

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