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30.6.2019

Die verspielte Demokratie

Ach ja, der Prophet im eigenen Land ... Wenn einer bei uns zur Toleranz aufruft, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel. So ergeht es derzeit Joachim Gauck, nachdem er in einem Spiegel-Gespräch „erweiterter Toleranz in Richtung rechts“ das Wort geredet hat. Tatsächlich waltet der gelernte Seelenhirt nur weisungsgemäß seines Hochamtes, indem er Christi Botschaft verkündigt: „Liebet eure Feinde!“ Und gar so böse Buben*innen seien die Rechten ohnehin nicht, sondern lediglich „schwer konservativ“. Mit seinem flammenden Plädoyer für Toleranz steht Gauck überdies nicht allein: Ausgerechnet die gott- und vaterlandslosen Gesellen*innen von SPD und Grünen zeigen uns seit fast 30 Jahren, was tätige Nächstenliebe ist: Rührend und aufopferungsvoll haben sie sich der PDS angenommen, hätscheln, pudern und pämpern sie, bald werden sie die PDS erstmals in eine westdeutsche Landesregierung schmuggeln (Bremen, boah ey!) und wer weiß: 2021 vielleicht sogar Bundes-Genossen. All diese Mühen und Entbehrungen nehmen SPD und Grüne auf sich, obwohl sie die PDS selbstverständlich aus tiefster Seele verabscheuen und so richtig scheiße finden: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Die qua Parteiprogramm zum Christentum Verpflichteten jedoch: Barmherzigkeit Fehlanzeige. Da kann Gauck gar nicht anders, als sie dringlich ins Gebet zu nehmen und ihnen die Leviten zu lesen. Die C-Parteien haben schließlich einiges wiedergutmachen, denn Entstehung und Erfolg rechtsreaktionärer Kräfte beruhen laut Gauck allein darauf, dass die CDU sozialdemokratischer geworden sei, wodurch Menschen, für die Sicherheit und Konformität wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität, heimatlos geworden seien. Bahnt sich hier eine humanitäre Katastrophe an, ist das Eingreifen des UNHCR vonnöten, muss AKK die Grenzen zur CDU öffnen? „Wir schaffen das: Refugees welcome!“ hat nun der CDU-Parteiauftrag zu lauten. Hingegen früher, als bekanntlich alles besser war und die CDU noch stramm rechts marschierte, konnten sich laut Gauck die schwer Konservativen bei Alfred Dregger und Franz Josef Strauß ankuscheln. Aus jener finsteren Vorzeit stammt offensichtlich auch Gaucks Verständnis politischer Schlagworte: „Rechts“ heiße eigentlich nur „konservativ“. Tatsächlich trifft dies schon längst nicht mehr zu, sondern „rechts“ bedeutet heutzutage ausschließlich „rechtsradikal, antidemokratisch“, ist also von vornherein negativ besetzt. (Ich wünschte, eine gleichartige Bedeutungsverschiebung würde auch für den Begriff „links“ eintreten.) Ebenfalls schon etwas von gestern ist die Behauptung, die CDU sei schuld am rechtsreaktionären Milieu: Diese flotte Dolchstoßlegende verzapfte bereits 2016 Sigmar Gabriel.

Die schwer Konservativen haben es nicht leicht. Deshalb beschwört Gauck uns, sie nicht aus dem „demokratischen Spiel“ hinauszudrängen. Warum auch: Freiheit, Offenheit und Pluralität sind ja nur die unveräußerlichen Grundwerte Deutschlands, der EU und des Westens, darauf verzichten wir natürlich liebend gern zugunsten der Sicherheits-Paranoia von Reaktionären und Hinterwäldlern. Die einander ausschließende Gegensätzlichkeit von Sicherheit und Freiheit ist allerdings künstlich konstruiert. Genauso könnte man Menschen vor die Wahl stellen, was sie zum Überleben brauchen: Essen oder Trinken?

Auch die PDS ist buchstäblich nur halb so schlimm: Da gebe es nämlich auch solche, „die von Herzen die Demokratie bejahen“ (kein Jux, hat Gauck wortwörtlich gesagt). Dies ist genauso hinreißend dämlich wie Sigmar Gabriels Behauptung im Herbst 2014, die Thüringer PDSler seien „ordentliche rechte Sozis“. Und wie das Gelabere von CDU-Funktionären, welche eine etwaige Zusammenarbeit mit der AfD durch die Halluzination rechtfertigen, dort gebe es auch „liberale Kräfte“.

Toleranz à la Gauck erfordere, nicht jeden, der schwer konservativ ist, als eine Gefahr für die Demokratie anzusehen. Das Gleiche könnte sein Glaubensbruder Friedrich Schorlemmer hinsichtlich der PDS predigen - und beide hätten recht. Natürlich haben knapp 5 Jahre PDS-Regierung Thüringen nicht in eine Diktatur verwandelt; das wird erst recht in ... na in Dingsda, in Bremen nicht der Fall sein; das würde auch nicht eintreten, wenn die PDS in der Bundesregierung hockt (schon allein deshalb nicht, weil eine rot-blutrot-grüne Koalition im Bund nicht annähernd 4 Jahre durchhalten würde). Für Regierungsbeteiligungen der AfD gilt dies ebenso. Aber nicht deshalb, weil diese beiden sog. Parteien keine Diktatur anstreben, sondern weil sie nicht ohne Weiteres in der Lage sind, eben mal das stabile Fundament der Demokratie zu vernichten. Wir befinden uns nicht mehr in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Stattdessen sind die antidemokratischen Parteien gefesselt in der verfassungsmäßigen Ordnung, in den „gesellschaftspolitischen und bundespolitischen Rahmenbedingungen“, welche die PDS „natürlich auch verändern will“, wie im Herbst 2014 der Thüringer PDS-Funktionär Steffen Dittes verkniffen-unumwunden ankündigte. Mögen täten PDS und AfD schon wollen, aber dürfen wird ihnen nicht erlaubt.

Seine Toleranz bestehe darin, die AfD als politische Gegner zu betrachten, nicht aber als Feinde, die zerstört werden müssen, doziert Gauck. Auf solcherart wabbeligem Polit-Pazifismus beruht gleichermaßen der Erfolg der PDS. Schon 2005 kokettierte Gregor Gysi: „Ich habe Konkurrenten und Gegner, aber keine Feinde.“ Gauck, das skrupulöse Sensibelchen, fragt sich, ob es politisch nützlich ist, jeden AfD-Kandidaten für das Amt eines Bundestags-Vizepräsidenten abzulehnen. Antwort: Ja, das ist nicht nur nützlich, sondern unbedingt erforderlich. Genauso muss mit antidemokratischen Parteien umgegangen werden: ignorieren, kaltstellen, ausgrenzen, frontal angreifen, am Boden zerstören. Denn die Demokratie ist eben kein Spiel, verflixt noch mal! Die Existenz und das Wirken antidemokratischer Parteien dürfen wir nicht einfach sportlich nehmen, wie wenn unsere Jungs in der Vorrunde rausfliegen. Die Demokratie ist vielmehr unendlich kostbar und unentbehrlich wie die Luft zum Atmen. Was ist mit dem Schutz des politischen Klimas, das sich zusehends wandelt? Es steht zu hoffen, dass die demokratischen Parteien im Bundestag diesmal mehr Durchhaltevermögen an den Tag legen: Im Herbst 2005 ließen sie Lothar Bisky (kennt heute niemand mehr, war PDS-Vorsitzender) vier Mal durchrasseln, bekamen dann aber Angst vor der eigenen Courage (da fehlt wohl die Routine) und wählten im April 2006 Petra Pau zur Bundestags-Vizepräsidentin.

Deutschland im Jahre 30 nach der Zeitenwende: Prophete rechts, Prophete links ... und die Vernünftigen zerquetscht mittendrin.

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(30.6.2019)

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